Freie Spiritualität
Was ist ein Menschenbild?
Einführung und Überblick
Um das Leben und die Menschennatur besser verstehen zu können, sind bildhafte Vorstellungen hilfreich. Hier werden drei unterschiedliche Menschenbilder vorgestellt. An ihnen lassen sich interessante Eigenschaften, Stimmungen und Bedürfnisse unserer Menschennatur erkennen. Verschiedene Lebenseinstellungen werden daran sichtbar. Es kann eine tiefere Logik erkannt werden und sogar Sinnfragen des Lebens können eine erste Antwort finden.

Was macht einen (ganzen) Menschen aus?
Ohne Zweifel wird unser Auge den Körper in seiner physischen Natur identifizieren. Je nach Lebenserfahrung, Bildung, kultureller und religiöser Prägung wird sich bei allen folgenden Überlegungen, was die Menschennatur noch so alles beinhaltet, eine große Variation an Antworten auftun. Mögliche Antworten könnten sein: Es gibt da noch eine Psyche, oder noch eine Seele und einen Geist. Eventuell werden auch Energieströme, feinstoffliche Hüllen, ein unsterbliches Selbst oder ein göttlicher Funken genannt.
Ein umfassendes Menschenbild kann helfen, neue Antworten und Lösungswege zu finden. Z.B. bei praktischen Fragen wie: Was fördert die Gesundheit? … oder: Was macht eine gute Lebens-Balance aus? … oder größer gedacht: Welches Wirtschaftsmodell ist gerecht, sozial und zugleich umweltfreundlich?
Ich möchte drei Menschenbilder skizzieren, die sich an verschiedenen geschichtlichen Epochen und Lebenseinstellungen orientieren…

Das Menschenbild, das den Kosmos in den Mittelpunkt stellt
Das kosmische Menschenbild kann für den modernen Menschen wie eine Provokation wirken und großes Unverständnis hervorrufen. Was hat es mit dem Kosmos und dem damit assoziierten, nachtodlichen Leben auf sich ? Wer weiß schon etwas Fundiertes über das Leben nach dem Tod ?
In einer alten, indischen Schriftensammlung – den Veden – findet sich der Sanskrit-Ausspruch „tat tvam asi„. Das heißt übersetzt, mit Blick nach oben auf den Sternenhimmel: „Siehe, das bist Du“. Eine mögliche Interpretation dieser berühmten Worte der frühen indischen Kultur ist, dass der Mensch in seiner wahren Natur ein kosmisch-göttliches Wesen ist.
Das irdisch-materielle Leben, also auch der physische Körper, ist damit relativ und recht unbedeutend für das Lebensziel. Das Interesse des Menschen mit dieser Ausrichtung richtet sich primär auf ein Selbst-Gefühl, das inniglich mit einer kosmischen oder irdisch-losgelösten Sphäre in Verbindung steht.
Etwas überspitzt könnte dieser Mensch sagen: „In der Suche nach der kosmischen Einheit stören mich die weltlichen Bedingungen und mein physischer Körper.“
Das Menschenbild, das das irdisch-materielle Leben in den Mittelpunkt stellt
Dieses Menschbild ist uns am meisten vertraut. Mit diesem sind wir aufgewachsen, es ist zentraler Ausdruck unserer gegenwärtigen Kultur. Ein Mensch in dieser Ausrichtung verbindet sein Leben und seine Ziele primär mit den irdischen Bedingungen.
Bedeutend sind gesellschaftlicher Stand, erlernte Fähigkeiten (z.B. ein Beruf), erlangtes Wissen sowie die Gemeinschaft mit anderen. Das Lebensgefühl ist deutlich geprägt von materiellen Werten, Besitztum, sozialen Bindungen, sinnlichen Genüssen und von der Suche nach irdischen Sicherheiten. Ein markanter Gedanke in dieser materiellen Gesinnung ist: „Was bringt mir dieses oder jenes, welchen Nutzen oder Nachteil habe ich davon ?“
Die Konkretheit und wissenschaftliche Nachweisbarkeit irdischer Bedingungen sind im Gegensatz zu einem kosmischen Lebensgefühl ein prägnanter Unterschied.
Eine bis heute gültige wissenschaftliche Schlussfolgerung dieses Menschenbildes besagt, dass das Denken – und damit der Geist des Menschen – von der Funktion des Gehirnes abhängig ist. Oder anders gesagt, zuerst ist der Körper da, bzw. das Gehirn, und daraus entspringt der Geist, das Denken. Zu dem obigen Menschenbild einer ursprünglich geistig-kosmischen Existenz, die in der Folge für eine begrenzte Zeit einen irdischen Ausdruck mit dem Körper findet, ist das der direkte Gegensatz. Größer kann eine Polarität nicht sein. Die Sterblichkeit des einen Menschenbildes steht der Unsterblichkeit des anderen Bildes gegenüber.
Das Menschenbild, das den Mittelpunkt des Menschen vermittelnd zwischen einer geistigen Welt und irdischen Bedingungen sieht
Dieses Menschenbild nimmt eine Mitte zu den ersten beiden ein. Es bezeichnet eine menschliche Ausrichtung, die sowohl zu einer geistigen Dimension als auch zu den irdischen Bedingungen eine aktive Beziehung sucht.
Ein zentrales Merkmal ist der fortschreitende Entwicklungsgedanke und dies in zweifacher Hinsicht …
- Zum einen, eine geistige Entwicklung des Menschen im Sinne eines Stärker- und Reiferwerdens seiner Persönlichkeit und
- Zum anderen, eine weltliche (Weiter-)Entwicklung im Sinne von Veredelung irdischer Bedingungen, wie z.B. in Bezug auf gesunde Lebensmittel oder in Bezug auf Harmonisierung von sozialen Bedingungen in der Gesellschaft
Dieses Menschenbild ist Ausdruck eines geistigen Erwachsenwerdens. Damit ist gemeint, dass der Mensch beginnt – unabhängiger von weltlichen oder religiösen Vorgaben und Autoritäten – sich zu geistigen Inhalten hinzuwenden, diese eigenständig durchdringt, zu verstehen beginnt, tief nachempfindet, um sie dann in eine praktische, weltliche Aufgabe hineinzutragen. Was entsteht damit? Es entsteht ein freies, schöpferisches Tun aus einem Verantwortungsgefühl als Mensch heraus.
Weder die Flucht weg von irdischen Bedingungen (Weltflucht) noch die reine Optimierung irdischer Umstände (Weltverhaftung) noch ein Sich-aus-allem-Raushalten und Abwarten sind das Ziel.
Mohandas Karamchand (Mahatma) Gandhi ist für dieses Menschenbild ein bemerkenswertes Beispiel. Er hat als indischer Rechtsanwalt die Idee der Gewaltlosigkeit (ahimsa) tief und konfessionsunabhängig durchdrungen und sie als Lebensideal in seinem Handeln konkret umgesetzt. Gewaltlosigkeit drückte sich in seiner Person authentisch aus. Er hat in eigener Zielsetzung und Verantwortung – und dies unter massiver Übergriffigkeit der englischen Besatzer – mit seiner Schöpferkraft, aus einem geistigen Ideal heraus, für Indien neue, gerechtere Lebensbedingungen geschaffen.
Die Inhalte dieser Webseite handeln im Wesentlichen von diesem dritten Menschenbild, welches hier mit dem Begriff ‚freie Spiritualität‘ ausgedrückt wird.


Die beiden Fotos – die Kunst, Steine auszubalancieren – veranschaulichen noch einmal den Unterschied zwischen einem mehr weltlich geprägten und einem mehr schöpferisch geprägten Denken. (Der kosmisch geprägte Mensch hätte kein Interesse, Steine aufeinander zu legen.)
Unabhängig von der Größe der gewählten Steine gibt es einen deutlichen Unterschied in der Machart der beiden Steinkonstruktionen. Worin liegt der Unterschied ? (Ein Kleber ist nicht im Spiel … )
Stefan Jammer, April 2023
Kommentare:
10.08.2024 – Matthias
Wenn ich sehe, wie die Polarisierungen in unserer Gesellschaft voranschreiten und nahezu jede „Seite“ das Ei des Kolumbus gefunden haben will (Stichwort: Wahrheitsanspruch) dann erscheint mir die Idee des schöpferischen Menschen, der zwischen verschiedenen Meinungen vermitteln kann, eine dringend notwendige, friedensstiftende Idee zu sein.
24.05.2024 – Horst
„Kosmischer Bürger“ … nun ja, man kann sich auch viel einbilden und so manches in frühere Kulturen hineininterpretieren. Und wenn es den schöpferischen Bürger wirklich geben sollte, warum ist dieser in den letzten Jahrhunderten nicht schon längst aufgetaucht und hat für mehr Ordnung und Frieden auf unserem Planeten gesorgt ?
15.02.2024 – Alex
Ich lebe in einem anthroposophisch geprägten Umfeld. Die verschiedenen Menschenbilder verstehen zu lernen, scheint mir wichtiger denn je. Denn viele gegenwärtige Missverständnisse, Polarisierungen und Krisen resultieren meiner Meinung nach darin, dass die schöpferische Mitte nicht richtig erfasst wird. Selbst die Anthroposophie – die die Mitte gemäß Rudolf Steiners Erkenntnissen anstrebt – hat heutzutage Schwierigkeiten, den Polarisierungen entgegenzuwirken und landet so manches Mal selbst in der Ratlosigkeit und Verstrickung.
05.11.2023 – Stefan J.
Beide Steinfiguren habe ich selbst in freier Natur aufgebaut. Die rechte, aufstrebende Figur ist kein Fake. Ein Meister dieses Faches ist Sepp Bögle, den mich vor Jahren inspiriert und begeistert hat … > Info zu Sepp Bögle
25.10.2023 – Annika
Also die rechte Steinkonstruktion ist schon etwas tricky, finde ich. Das linke Steinmännle scheint ja die „normale“ Bauweise zu sein, ok. Wenn das rechte Foto kein Fake ist, dann frage ich mich, wie das geht, das die Steine hochkant im Gleichgewicht bleiben !?